Vom Säen und Ernten

Dörr: Weisst du, dass du und ich schon oft auf Erden waren? Vielleicht warst du in einem deiner früheren Leben ein Inder, Afrikaner, Chinese oder sonstwer. Wir werden immer in den Erdteil hineingeboren, in welchem wir unsere neu zu erlernenden Aufgaben wie auch unser Karma am besten erfüllen können.

Wahrfried: Was ist Karma?

Dörr: Jedesmal, wenn wir reinkarniert werden, das heisst, wenn unsere Seele einen neuen irdischen Körper erhält, müssen wir vor allem das, was wir in dem beziehungsweise den vorigen Leben falsch gemacht haben, wieder ausgleichen. Sagen wir einmal, ein Mann sei in seinem verflossenen Leben sehr reich gewesen. Aber dieser Reichtum machte ihn geizig und habgierig, so dass er immer mehr für sich haben wollte. Und klopfte ein Bettler an seine Tür, ein Almosen erbittend, so beschimpfte er ihn, trat ihn womöglich, liess ihn eventuell durch seine Diener mit dem Knüppel vertreiben oder hetzte gar seine Hunde auf ihn. Dieser bedauernswerte Reiche wird nach dem Verlassen des irdischen Körpers, also nach seinem “Tod”, eine sehr schwere Zeit der Heimsuchung und der Selbstanklage in den finsteren Sphären des Jenseits durchmachen müssen, bevor er nach vielen Läuterungsprozessen in lichtere Regionen aufsteigen kann. Denn jede Seele gerät nach einer jeden Umwandlung jeweils in das Seelenreich, das ihr, der eigenen seelischen Entwicklung gemäss, zusteht.

Wahrfried: Woher weiss man aber, in welches Seelen- oder Geisterreich man kommt?

Dörr: Jede Seele strahlt ein Licht aus. Je heller dieses Licht leuchtet, desto reiner und geläuterter ist sie selbst. Und je dunkler das Licht einer Seele ist, desto weniger hat sie sich bisher durch gute Taten der Nächstenliebe entwickeln können. Man gelangt also nach seiner Umwandlung jeweils zu jener Geistersphäre, die gemäss dem eigenen Helligkeitsgrad zum Weiterleben geeignet ist. Denn in Gottes Schöpfung lautet eines seiner urewigen Seelen-Gesetze: Gleiches zieht Gleiches an. Demzufolge kann auch derjenige, der noch kein Licht der Liebe in sich mehren konnte, nur in die Reiche der Finsternisse gelangen, denn die äussere Umgebung ist immer nur Spiegelbild des Inneren, also des Geistes und der Seele. Donnerwetter! Daran habe ich ja noch gar nicht gedacht. Wie kommt es, dass ich, so ich Wahrfried unterweise, selbst dazulerne? Wer projiziert eigentlich solche Gedankenblitze in meine geistigen Finsternisse?

Warum flösst du ihm Erkenntnisse ein, wo er doch selbst aus eigener Kraft zu solchen gelangen sollte?

Höhere Erkenntnisse sind doch zumeist nur inspirierte Belohnungen dafür, dass man sie sich durch gute Taten, sei es in diesem oder in einem früheren Leben, verdient hat.

Aber selbst eine noch weniger entwickelte Seele könnte doch solche Erkenntnisse von anderen Irdischen mitgeteilt bekommen oder sie wenigstens in irgendeinem, wenn nicht gar in unserem Buche lesen?

Der seelisch weniger Entwickelte wird sich nur für solche Erkenntnisse interessieren, die ihm persönlich dazu verhelfen, sich ein weltlich angenehmeres Leben zu verschaffen oder ihn in seinem ich-bezogenen Bewusstsein zu bestärken. Somit bleiben höhere Mitteilungen für ihn unverständlich, weil sie für sein den Sinnen frönendes Ego unanwendbar scheinen. Auch würde ein anderer Leser als du vielleicht alles hier Gesagte und Beäugte als Lug und Trug bezeichnen, weil seine Vorstellung sich noch nicht geöffnet hat für höhere Vorstellungen.

Und warum hast du mich gerade zu deiner Talfahrt durch das christliche Erdenjahr 1949 eingeladen?

Du hast dich nicht gescheut, mit mir eine grosse Reise zu unternehmen, ohne mich vorher zu fragen, welchen Nutzen es deinem Ego bringen würde.

Aber zurück zu unserem Magister und seinem Adlatus, damit wir in unserer Unsichtbarkeit auch nichts versäumen, denn wir sind doch in gewissem Sinne für das Gesagte und das Geschehen unserer zu betreuenden Erdenbürger - wenn auch in bescheidenem Masse - verantwortlich.

Wahrfried: Aber wenn doch schon eine Seele viele Leben hinter sich gebracht hat, dann muss sie doch sehr hell strahlen?

Dörr: Ja, dasshast du ganz recht. Und in der Regel ist es auch so. An dem Licht, das ein Mensch ausstrahlt, können höhere Geister sowohl den Entwicklungsgrad seiner Gesamtseele erkennen als auch den Aufbesserungsgrad seines gegenwärtigen beziehungsweise seines letzten Lebens. Dieses Licht, das man die Aura nennt, und welches einige medial begabte Inkarnierte manchmal sehen dürfen, ist zugleich ein wandelndes Logbuch, in welchem alle unsere guten und schlechten Gedanken, Worte und Taten eingetragen stehen, so dass ein jeder lichtere Geist sofort beim Ansehen dieser Aura weiss, wen er vor sich hat. Erst wenn wir unsere Fehler als solche erkannt und bereut haben - und Fehler sind immer Verstösse gegen das Gesetz: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst - und sie durch gute Taten wieder ausgeglichen haben, werden sie in der Aura unsichtbar, ebenso wie eine falsch gelöste Rechenaufgabe an der Tafel wieder ausgewischt wird. Denn gesühnte Schuld ist in Gottes Schöpfung auch vergebene Schuld. Doch das Sühnen und das Vergeben geschieht durch uns selber.

Wahrfried: Wohin kommt eigentlich eine Seele, wenn sie wenig Licht im Leben ausgestrahlt hat wie jener geizige Mann, von dem du gerade sprachst?

Dörr: Jener geizige Reiche, nachdem ihm vielleicht eine Pause der Angleichung an seinen neuen Seelenzustand gewährt worden ist, wird von höheren Führern des Geisterreiches dorthin geleitet, wo er in dunklen oder doch beinahe total finsteren Sphären zu sitzen hat und über genügend Zeit verfügt, um über sein vergangenes Leben nachzudenken! Ihm werden ständig jene Szenen seines vergangenen Lebens vor Augen gestellt, in denen er sich versündigt hat. Er muss also erst einmal erkennen, worin er gefehlt hat, um dementsprechend auch bereuen zu können. Je mehr er aber erkennend bereut, desto mehr Licht wird ihm in seine Dunkelheit gesendet werden, bis eines Tages ein Abgesandter aus höheren Sphären ihn aus der durch seine Sündhaftigkeit selbstverschuldeten Finsternis herausholt. Er wird dann über viele Fragen, die ihm bisher noch unbeantwortet geblieben sind, aufgeklärt und erhält bald schon eine Gelegenheit, das, worin er gefehlt hat, wiedergutzumachen. Zunächst wird er wohl das Angebot annehmen, als ein den Menschen Unsichtbarer auf die Erde zurückzukehren, um den Irdischen nach bestem Gutdünken zu helfen und sie vor Fehlentscheidungen zu warnen. Hat sich also dieser Geist durch guten Willen bewährt, indem er nur Gutes zu tun im Sinne hatte, dann darf er in jene Geister- und Astralwelt zurückkehren, die seiner geläuterten Leuchtkraft entspricht. Auch in jener Welt gibt es Schulen.

Wahrfried: Wird dort auch geschlagen?

Dörr: Aber nein. Hat sich einmal eine Seele in die reineren Sphären emporgearbeitet, dann wird auch sie wie alle vor ihr vom Gesetz der reinen Liebe gelenkt. In diesen Schulen unterrichten oft höhere Wesenheiten aus noch höheren Sphären ihre Schüler über alle wichtigen Dinge des Jenseits und des Diesseits. Sie befassen sich auch mit jedem ihrer meist mit Eifer Lernenden im einzelnen, indem sie sich zum Beispiel mit ihm in eine Art Rückschau seines vergangenen Erdenlebens begeben, um nochmals alle Stationen der Verfehlungen durchzusprechen. Und haben diese Schüler im Erlernen Fortschritte gemacht und zeigen sich bereit, auch mit Eifer möglichst vielen auf den unteren Geisterebenen oder auf der Erde zu helfen, dann kann es wohl passieren, dass ein höherer Geist sie einlädt, mit ihm in eine noch höhere Astralwelt zu reisen, wo den Staunenden die besuchte Sphäre noch lichtvoller vorkommen wird. Und sofort wird in ihnen der Wunsch rege, ebenfalls dort wohnen zu dürfen. Ihr Geistführer jedoch wird sie darauf hinweisen, dass man sich das jeweils nächsthöhere Himmelreich erst verdienen muss durch gute Taten, denen eine Prüfung zu folgen hat, die eben auf der Erde oder in einer anderen Welt abgelegt werden muss.

Wahrfried: Dann ist ja unsere Welt wie eine Schule, in der man Klassenarbeiten zu schreiben hat, um am Ende eines Schuljahres mit einem guten Zeugnis, als was man die strahlende Aura bezeichnen könnte, versetzt zu werden.

Dörr: Genau, so ist es. Wie schnell der Junge doch alles begreift. Dabei hat er doch in der Volksschule in manchem Fach seine liebe Not.

Wie kommt es, dass er alles so schnell zu verstehen scheint, während ich doch oftmals noch meine Mühe habe?

All das, was er jetzt von seinem Wahllehrer mitgeteilt bekommt, ist ihm schon längst bekannt gewesen, denn es schlummerte schon in seinem Unterbewusstsein. Jedoch bei der Erwähnung des ihm seit langem Bekannten öffnen sich Geistestüren, durch die dieses Unbewusste wieder in das Bewusstsein zurückdringt.

Dörr: Und somit beginnt die aufstrebende Seele sich auf die Erdexamina vorzubereiten, um sie, wenn möglich, bei ihrer nächsten Inkarnation auch alle bestehen zu können. Ja, sie kann vor ihrer Niederkunft sogar entscheidenden Einfluss darauf ausüben, als was sie auf Erden in Erscheinung tritt, um am besten das im Vorleben Versäumte und Verfehlte wiedergutzumachen, weshalb sie auch oft gewillt ist, für sich die allerschwersten Bedingungen auszuwählen. Und wahrscheinlich wird unser geiziger Mann, den wir vorhin erwähnten, sich diesmal das Leben eines Bettlers aussuchen, um am eigenen Leibe zu fühlen, worin er, als der frühere Mitleidlose, gesündigt hat, als er die Hilfsbedürftigen mit Steinen, Knüppeln und Hunden hinwegtrieb. An ihm hat sich also das Gesetz des Heilands doppelt erfüllt. Denn seine Saat war sein Leben als reicher Geizhals. Aber seine Ernte hatte er einmal in den dunklen Sphären zu pflücken und zum anderen in einem wiederholten Erdenleben. Und wir bezeichnen die Ernte, die wir in unser jeweiliges Erdenleben mitbringen, als Karma. Verstehst du?

Wahrfried: Ja, ich verstehe. Aber du hast mir heute soviel erzählt, dass ich mir alles erst noch einmal durch den Kopf gehen lassen muss.

Dörr: Du hast recht. Sobald neue Fragen auftauchen, komme wieder zu mir. Ja, ich glaube gar, es ist schon spät geworden. Vielleicht sucht dich deine Mami schon. Verärgere sie bitte nicht. Sie hat so viel mit sich selbst zu tun. Ja, sie geht durch harte Prüfungen. Hoffentlich wird sie einmal vor sich selbst bestehen können, denn wir sind später die strengsten Richter unserer eigenen vergangenen Gedanken und Taten.