Das Grosse ist allein durch Kühnkeit zu erschliessen

„Ja“, so beginnt die Freiherrin, die Tasse mit dem schwarzen heissen Getränk an den Mund führend, „Ihre Gedichte sind sehr schön, sprachliche Ballungen geflügelter Gedanken sozusagen. Ich glaube zwar, dass Sie noch weitere Fortschritte darin erzielen könnten, denn in manchem fehlt noch das nachhallende Echo des Ewig-Unenträtselbaren. Jedoch geben Ihre Gedichte Kunde von einer grossen Seele, die sich sprachlich in bezwingender Weise mitzuteilen weiss. Ja, Ihre Gedichte müssen an die Menschheit herangetragen werden, gerade an diejenigen, die sonst nie oder selten einen Gedichtband in die Hand nehmen. In Ihrer Lyrik wird der dafür Empfängliche Mut und Kraft zu einem Neubeginn schöpfen können. Sie sollten nicht Schuhe verkaufen, sondern Ihre eigenen Gedichte, und zwar ebenfalls von Zugabteil zu Zugabteil. Verkaufen Sie nur Schuhe, so bescheren Sie den Leuten allenfalls warme Füsse. Aber ist es nicht ein weit wunderbareres Unternehmen, des Menschen Herz, Sinn und Gemüt mit Hoffnung, Mut und Liebe zu erwärmen, mit anderen Worten, wäre es für Sie nicht angebrachter, den nach Stärke und neuer Zuversicht hungernden Seelen Nahrung zu geben, als ihnen eine Schuhbereicherung zugute kommen zu lassen? Ihnen, wie ich wohl bemerkte, ist es gegeben, mit Menschen umzugehen und durch Ihr offenes Entgegenkommen Zutrauen zu erwecken. Warum bieten Sie nicht Ihre Gedichte an, denn wenn diese jenen helfen, dann ist es doch auch wohl gut und recht, dass man Ihnen hilft, zumal Sie, wie ich mich an eine Ihrer Bemerkungen erinnere, eine mehrköpfige Familie zu ernähren haben. Drucken Sie Ihre Gedichte auf eine gefaltete Doppelseite, und verkaufen Sie diese an Ihre Mitmenschen. Sie werden erstaunt sein, wie sehr man sich Ihnen gegenüber erkenntlich zeigen wird. Seien Sie ganz Dichter, indem Sie sich auch für Ihren Ihnen zugeteilten Beruf zu leben entschliessen. Denken Sie daran: Das Grosse ist allein durch Kühnheit zu erschliessen, sowohl in Gedanken als auch in der Tat. So, lieber Herr Molar, ich muss jetzt zu meinem Zug.“

 

Molar: Liebe Frau Freiherrin, darf ich Sie auch noch nach dorthin begleiten?

 

Er ruft den Kellner herbei und gibt ihm ein ungewöhnlich hohes Trinkgeld, so dass jener es sich nicht nehmen lassen will, der „gnädigen Frau“ und dem „allerwerten Herrn“ in den Mantel zu helfen und die Tür mit einer freundlichen Verbeugung, begleitet von den Worten: „Eine angenehme Reise wünsche ich den hohen Herrschaften!“ offenzuhalten.